Das Benzi(wil)
Karim Beji - 2021

Mitte der 1960er wird das Benziwil zu einem idealen Standort: Nach Abbruch der ehemaligen Bauerngüter steht eine riesige Fläche zur Verfügung, auf welcher der Architekt Otto Glaus das Projekt «Betaville» entwarf. Seine Vorstellungen bestanden aus einer weitgehend autonomen Siedlung mit eigener Post, Restaurant und Einkaufsladen, dominiert von einem Hochhaus. Blau, Rot und Grün (RGB) bilden das Farbkonzept des Benziwil, welches an den Türen, Wänden und Jalousien zu sehen ist. Otto Glaus arbeitete zu Beginn um 1937 bei Le Corbusier und studierte von 1941 bis 1945 Architektur an der ETH Zürich. 1950 erhielt er einen Grossauftrag für die katholische Kirche in Meilen ZH. Ab 1950 realisierte er besonders viele Projekte in Zürich. Glaus wird als einer der Vertreter des «béton brut» bezeichnet, lehnt dies selber aber ab, da Beton für ihn die freie kubische Gestaltung zulässt und es ihm nicht um die rohe Oberfläche geht. 1965 wurde ein Wettbewerb für den Bau einer Grosssiedlung am Rand der Gemeinde Emmen ausgeschrieben. Preisgünstiger Wohnraum für 2‘500 Personen und auch öffentliche Nutzungen waren gefordert. Der erste Preis ging an das Projekt, das Otto Glaus in Zusammenarbeit mit Bert Allemann entwickelt hatte. Die Planung der Grosssiedlung Benziwil begann 1966. Die 1973 einsetzende Realisierung dauerte rund 22 Jahre. Im Jahr 2000 wurden sechs weitere Wohnblöcke hinzugefügt.

Die Grosssiedlung Benziwil liegt im nördlichen Teil der Luzerner Gemeinde Emmen. Die Siedlung beinhaltet 19 Gebäude, wovon der Kern, welcher in dieser Arbeit behandelt wird, sieben Gebäude enthält. Die Siedlung wird im Nordosten von der Eisenbahnschlaufe begrenzt, welche im Südwesten an der Benziwilstrasse weiter Richtung Emmen und Luzern führt. Der Kern zeichnet sich durch die ersten sieben Häuser ab, welche um 1976 bezugsbereit waren. Danach erst wurden die restlichen Häuser gebaut. Das Zentrum bildet das 19-geschossige Benziwil 25, welches zusätzlich auffällt durch den Stand auf der höchsten Stelle des Terrains. Der Auftraggeber war die Viscosestiftung Emmenbrücke und die Personalfürsorgestiftung der Firma Anliker & Co. AG Emmenbrücke. Die Siedlung sollte Platz für die Mitarbeiter des grössten Arbeitgeber der Zentralschweiz schaffen.Mitarbeiter der Viscose und Anliker konnten als Erste und zu besonders vorzüglichen Preisen einziehen oder ihre eigene Wohnung kaufen. Einige der damals eingezogenen Bewohner leben heute immer noch in ihrer Wohnung im Benziwil. Das Areal bietet im Inneren durch die grosszügigen Gebäudeabstände viel Platz für Fusswege, Parkanlagen, Spielplätze und weitere Treffpunkte. Die einzelnen Blöcke sind versetzt angeordnet und variieren in deren Fläche und Höhe. Die Häuser haben 5 bis 19 Geschosse. Das Benziwil 17 ist dabei das kleinste Haus und das Benziwil 25 das grösste. Von dessen Dach aus sieht man an schönen Tagen bis nach Deutschland. Alle Gebäude besitzen eine einheitliche Konstruktion und Gestaltung. Der Plattenbau wurde mit Fertig- elementen aus Sichtbeton konstruiert, dessen Flachdächer zugänglich gemacht wurden. 1978 wurde der Europrefab-Preis an Otto Glaus vergeben.

Ein Merkmal dieser Plattenbausiedlung ist der orthogonale Aufbau durch das kontinuierliche Vor- und Zurückspringen der Baukörper, sowie der Höhenstaffelung. Das Innere der Häuser ist trotz sehr grosszügigen Dimensionen abwechslungsreich gestaltet und beinhaltet 2.5 , 3.5 , 4.5 und 5.5 Zimmer Wohnungen zum Verkauf oder zur Miete. Ausgerichtet sind die Wohnungen nach den vier Himmelsrichtungen. In den Baukörpern finden sich offene und auch geschlossene Bereiche. Anfänglich wurde ein Hallenbad geplant, wo heute nun der Spielplatz vor dem Benziwil 25 steht. Die Gebäude 15 bis 21 besitzen unterhalb eine Tiefgarage. Eine zweite, grössere zweistöckige Tiefgarage befindet sich unterhalb der Piazza - der autofreie Kernplatz der Siedlung. Deren Einfahrt stand zuerst und nach fertigstellung wurden die Gebäude 29 und 31 darauf «gesetzt». Es wurde überall an den gemeinsamen Nutzen gedacht und so gab es auch 100L Gefrierfächer im Benziwil 17, welche gemietet werden konnten. Leider mussten diese aber Ende 2020 aufgegeben werden, da für die Kühlung keine Ersatzteile mehr verfügbar waren. Heute findet sich eine Kita im ehemaligen Einkaufsladen. Zusätzlich exis- tiert ein Kinderhort im Zwischengeschoss 1 des Gebäude 25, was das kinder- freundliche Quartier besonders für Familien attraktiv macht. Für Erwachsene findet sich ein Bastelraum im Erdgeschoss des Gebäude 17, ein Partyraum im Erdgeschoss des Gebäude 21 und ein Handwerksraum im Gebäude 25. Viele Veranstaltungen im Quartier, sowie auch die Räume werden vom Quartierverein Benziwil verwaltet und organisiert. Im umliegenden Gebiet gehört der Heubächli-Weiher fest zum Benziwil dazu und bietet Grillstellen und Erholungsgebiete zugleich.

Es ist überraschenderweise das grösste Quartier in Emmen und hatte zu Beginn die grösste Heizzentrale der Zentralschweiz. Diese befindet sich unter dem Gebäude 25 und ragt in den Hügel hinein. Damals wurde mit Gas, Strom und Öl geheizt, je nachdem was gerade am günstigsten war. Während dem Sturm Lothar im Jahre 1999 war es das einzige Quartier in Emmen, das dank dem Energiespeicher und Notgenerator noch mit Strom versorgt wurde. Viele Konstruktionspläne wurden durch die Überschwemmungen der kleinen Emme zerstört. Es wurde alles im Keller in Gebäude C8 gelagert und so waren viele der Unterlagen nicht mehr brauchbar. Für neue Handwerker bringt dies heute Schwierigkeiten mit sich, da ihnen die nötigen Unterlagen fehlen.