Turtmann
DER BETRUNKENE ZIEGENHIRT
In der öden, wilden Gegend des Lämmerbodens im Turtmanntal soll einst ein Hirte zur Mittagszeit
seine Herde gelagert haben. Eines Tages von Durst gequält, suchte er nach Trinkwasser und fand
in einer Felsenhöhle einige Feuchtigkeit, die von der Decke herunterrieselte. Aber er bemerkte,
dass dieses Wasser unrein und trübe war. Er ging weiter und setzte sich auf einen nahen Stein. Da
seine Kleidung in der Felsenhöhle schmutzig geworden war, wollte er sie reinigen, bemerkte aber,
dass die Flecken von gelber Farbe waren, als wenn Gold darauf getröpfelt wäre. Schnell ging er
hin, um das Gold zu sammeln, fand aber den Eingang der Höhle nicht mehr. Betrübt sass er
wieder auf dem Steine und verzehrte sein Mittagsbrot. Zur gleichen Zeit schnitzte er eine
Vertiefung in den weichen Stein hinein. Bald bemerkte er eine rote Flüssigkeit, er nippte davon und
fand, dass es köstlicher roter Wein war.
Die Leute im Dorfe merkten dann am Abend, dass ihr Ziegenhirt etwas betrunken nach Hause
kam, was ihnen unerklärlich erschien. Um auf den Grund zu kommen, schlich man dem Hirten
eines Tages nach und sah, wie er zur Mittagszeit aus einem Steine etwas Nasses schlürfte. Da
bemerkte der Hirt die Späher und wollte schnell die Öffnung zudecken. Aber es war zu spät, die
Späher waren schon zur Stelle; sie waren auch durstig und halfen dem Hirten den Wein aus dem
Steinfass zu trinken. Am Abend kam nicht nur der Ziegenhirt ohne Ziegen etwas angeheitert nach
Hause, auch die anderen konnten nicht mehr ganz sicher auf den Füssen stehen. Das war aber
das letzte Mal. Von diesem Tage an rann kein Tropfen mehr aus der Felsenquelle.