Lötschental
DIE GEFRIERHEXEN
Früher hatten die Talleute von Lötschen viel Rebland im Gebiet zwischen Varen und Siders. Noch
heute gibt es Lötscher Familien, die in Miège Weinberge ihr eigen nennen und selbst bebauen. In
Clarey bei Siders heisst ein Haus das ‚Lötscher Gemeindehaus‘, das früher den Weinbauern aus
dem Lötschental gehörte. Es ist ein altes Holzhaus mit einem Steinturm.
In Gorin, etwa eine halbe Stunde unterhalb von Siders, lebten zwei alte Schwestern. Sie waren
etwas misstrauisch und wechselten oft ihre Dienstleute. Einmal stellten sie einen Knecht aus dem
Oberwallis an, den sie für einfältig hielten, der sich aber als gescheit genug erweisen sollte. Dem
Dienstboten fiel auf, dass die zwei Meisterinnen am Abend lange aufblieben. Es wunderte ihn, was
sie zu tun hätten.
Eines Abends lauschte er an ihrer Türe. Da hörte er, wie eine zur andern sagte: "Wollen wir heute
Nacht das Ober- oder das Unterwallis gefrieren lassen?" Sie entschieden sich für das Oberwallis
und stellten einen Holzkübel voll Wasser vor die Türe gegen Osten. Das gefiel dem Knecht nicht,
denn er war ja ein Oberwalliser und schüttete den Wein auch nicht in die Schuhe. Sobald er nichts
mehr hörte, schlich der Knecht barfuss hinaus, nahm den Holzkübel, öffnete leise die Türe und
stellte das Wasser unter das Bett seiner Meisterinnen.
An andern Morgen wollten sich diese nicht rühren. Sorgfältig öffnete er die Stubentüre und was
sah er? Aus dem Kübel stieg ein mächtiger Eisklotz, der das Bett bis an die Decke gehoben hatte,
wo die zwei Hexen steinhart angefroren waren.
Seit diesen Tag ist es nicht mehr zur Arbeit erschienen.