Ausserberg
DIE STRETENDEN BRÜDER
Die heutigen Ausserberger Alpen Raaft und Leiggern waren früher das ganze Jahr hindurch
bewohnte Dörfer, sogar eigene Gemeinwesen. Eine grosse Quelle in der Augstkumme tränkte ihre
durstigen Wiesen. Zwei Wasservögte, für jede Ortschaft einen, hatten für gerechte Teilung des
Wassers zu sorgen. Es war keine leichte Aufgabe, weil oft jeder meinte, der andere sei im Vorteil.
Eines Jahres nun waren zwei leibliche Brüder Wasserhüter von Raaft und Leiggern. Sie kamen
eines Tages bei der Schalte, wo sich die Wasser teilten, zusammen. Aber nicht einmal sie konnten
sich über das Wasser in Güte einigen. Sie stritten miteinander, ergriffen im Zorne die Spaten,
schlugen aufeinander und trafen sich gegenseitig so unglücklich, dass die beiden Tod liegen
blieben. Als man die toten Brüder fand, war auch die schöne Quelle versiegt.
Bald fanden Hirten der Leiggernalpe in den östlichen Felsen des Bietschtals eine neue Quelle, die
niemand nützlich war. Es war offenbar der versunkene Brunnen der Augstkumme. Jetzt waren die
streitenden Brüder, die zwei Dörfer Raaft und Leiggern, wieder einig. Mit vereinter Kraft schleppten
sie roh behauene Baumstämme vor die Öffnung der neuen Quelle, zimmerten eine Wand, um dem
Wasser den Ausgang zu versperren und diese zurückzulenken auf ihren Berg. Aber die guten
Leute hatten nicht gerechnet mit der Gewalt des Wassers, das die künstliche Wehr durchbrach.
Zwei Bächlein fliessen heute noch aus den Öffnungen, die bei den Ausserbergern die
"Nasenlöcher" heissen. Man fand sogar die Spuren der künstlichen Verbauung.